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Covid-19-Impfungen: Und dann kam die Frage, die ganz Europa beschäftigt - WELT

Großbritannien, Kanada und einige andere Länder haben es bereits getan. Die USA stehen kurz davor. Nur in der EU ist noch immer unklar, ob und wann der Impfstoff von Biontech und Pfizer die Zulassung erhält und millionenfach verimpft werden kann.

Um Bedenken der Bürger zu zerstreuen, aber auch, um das eigene Vorgehen zu erklären, hatte die Europäische Arzneimittel-Agentur (EMA) in Amsterdam am Freitag zu einem in dieser Form eher seltenen öffentlichen Dialog mit verschiedenen Interessengruppen geladen.

Allerdings dauerte es über eine Stunde, bis daraus tatsächlich eine Art Meinungsaustausch wurde. Denn zunächst nutzten Vertreter der EMA die Gelegenheit, die Arbeit ihrer Behörde bei der Impfstoffzulassung in einer Art virtuellem Seminar ausführlich vorzustellen.

Es ging viel um Sicherheit, Transparenz und Prüfprozesse

„Trotz des hohen Tempos bei der Entwicklung und Zulassung werden die Impfstoffe gegen Covid-19 nach denselben hohen Standards zugelassen, die für alle Medikamente in der gesamten EU gelten“, lautete die wichtigste Botschaft von EMA-Chefin Emer Cooke zu Beginn der Konferenz. In den folgenden rund 75 Minuten, in denen unterschiedliche Experten aus der Behörde zu Wort kamen, ging es viel um Sicherheit, Zuständigkeiten, Transparenz und klare Prüfprozesse.

Keinesfalls, das war eine der wichtigsten Botschaften, werde bei der Zulassung der neuen Impfstoffe gegen die Pandemie die Sicherheit außer Acht gelassen.

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Die EMA sei dabei auf die Mitwirkung aller Bürger angewiesen, denn gerade die Datenerhebung zu möglichen Nebenwirkungen gehe auch im Fall einer Zulassung weiter, sagte Peter Arlett, Chef der Abteilung Datenanalyse und Methoden bei der EMA.

„Deshalb tun Sie uns den Gefallen: Melden Sie es ihren nationalen Aufsehern oder den Herstellern, wenn Sie nach einer solchen Impfung Nebenwirkungen bei sich feststellen“, so Arlett weiter.

Die vertrauensbildende Maßnahme wurde allerdings getrübt durch die Tatsache, dass ausgerechnet die so sehr um Sicherheit bedachte EMA kurz zuvor Ziel eines Hackerangriffs geworden war, bei dem sich Cyberkriminelle Zugriff auf Dokumente aus dem Zulassungsantrag für das Biontech-Vakzin verschafft hatten.

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„Ich kann Ihnen versichern, dass dies den Zeitplan für die Zulassung von Impfstoffen nicht beeinträchtigt und dass wir voll funktionsfähig sind“, betonte Cooke. Eine Frage tauchte im Rahmen der anschließenden Fragerunde mit Vertretern unterschiedlichster Interessengruppen besonders häufig auf: Wie wird die EMA sicherstellen, dass mögliche Nebenwirkungen der Impfungen auch wirklich transparent gemeldet werden?

Zuvor hatte die Arzneimittelaufsicht MHRA in Großbritannien, wo das Biontech-Vakzin seit dieser Woche verimpft wird, eine Warnmeldung veröffentlicht. Demnach raten die MHRA-Experten Menschen mit einer erheblichen allergischen Vorgeschichte von der Covid-19-Impfung ab.

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Zuvor war es bei zwei Geimpften mit entsprechender Vorgeschichte in Großbritannien zu schweren allergischen Reaktionen nach der Impfung gekommen. Der Vorfall hat angesichts der laufenden Debatte über Tempo und Sorgfalt bei der Zulassung von Covid-19-Impfungen für zusätzliche Unsicherheit gesorgt.

Kritiker der EMA werfen der Behörde vor, im Vergleich zu anderen Aufsehern zu langsam zu sein und dadurch die dringend benötigten Impfungen zu verzögern und Menschenleben zu riskieren. Hingegen sehen sich die Verfechter des europäischen Weges in ihrem Urteil bestätigt, dass die britischen Aufseher womöglich zu schnell vorgeprescht sind.

Auch in den USA steht die Impfstoffzulassung bevor

Unterdessen deutet sich auch in den USA an, dass eine Notfallzulassung des Vakzins von Biontech und seinem US-Partner Pfizer kurz bevorsteht. Am späten Donnerstag sprach sich der unabhängige Beratungsausschuss für Impfstoffe von der US-Arzneimittelbehörde FDA mit überwältigender Mehrheit dafür aus, eine solche Genehmigung zu unterstützen.

Das Komitee stimmte mit 17 zu vier Stimmen dafür, dass die Vorteile der Impfung die Risiken bei Patienten ab einem Alter von 16 Jahren überwiegen. Ein Mitglied des Gremiums enthielt sich. Experten rechnen damit, dass die FDA den Impfstoff auf Basis dieser Empfehlung in den nächsten Tagen genehmigen wird. Es wäre die erste in den USA verfügbare Covid-19-Impfung.

Dass Europa angesichts der steigenden Zahl an Zulassungen weltweit immer mehr ins Hintertreffen gerät, während gleichzeitig die Pandemie in vielen europäischen Ländern, darunter auch in Deutschland, mit ungeminderter Wucht grassiert, spielte bei dem öffentlichen Dialog der EMA am Freitag hingegen über weite Strecken keine große Rolle.

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„Ich habe keine Fragen an die EMA, sondern möchte die Gelegenheit nutzen, den Dank der Industrie auszusprechen“, sagte etwa Sue Middleton von der in Belgien ansässigen Lobbyorganisation Vaccines Europe während ihres Redebeitrags und stand damit fast stellvertretend für den Charakter der relativ handzahmen Veranstaltung.

Zwar waren im Vorfeld der Veranstaltung durchaus alle interessierten Bürger in der EU aufgerufen, sich mit ihren Fragen einzubringen. Nach welchen Kriterien die 15 geladenen Sprecher schließlich ausgewählt wurden, blieb aber weitgehend im Dunkeln.

Über weite Strecken mutete der Dialog seltsam statisch an und wurde damit seinem Namen kaum gerecht. Den teilweise minutenlangen Wortbeiträgen der einzelnen Sprecher, in denen kritische Fragen eher am Rande vorkamen, folgte fast ausnahmslos eine kurze Antwort von EMA-Vize Noël Wathion, der als Moderator durch die virtuelle Veranstaltung führte.

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In seinen knappen Repliken verwies er mehrfach darauf, dass weitere Studien zu einzelnen Fragestellungen, etwa über die Effekte der Impfungen bei Hochbetagten, vonnöten seien: „Wir stehen erst am Beginn dieser Reise.“

Und so blieb es vor allem den geladenen Wissenschaftlern überlassen, Klartext zu sprechen. „Wir brauchen Impfungen, die optimal zu den jeweiligen Impfgruppen passen“, mahnte etwa Schlussredner Carlos Guzmán, Leiter der Abteilung Vakzinologie beim Helmholtz-Institut für Infektionsstudien.

In früheren Pandemien, etwa bei der Schweinegrippe 2009, sei es im Rahmen der Massenimpfung teilweise zu seltenen Nebenwirkungen gekommen, die man so nicht erwartet habe. Und das, obwohl es sich bei den eingesetzten Vakzinen um gut bekannte Impfstoffe gehandelt habe.

Erst die zugeschalteten Zuschauer brachten Fahrt in die Debatte

„Wir brauchen daher absolute Transparenz über die Häufigkeit von Nebenwirkungen“, mahnte der Forscher. Nötig seien auch umfassende Daten über die Vor- und Nachteile der Corona-Impfungen bei Kindern, da sie in der Regel weniger schwer an Covid-19 erkrankten als Erwachsene.

Erst als die EMA die Debatte schließlich für die rund 3500 zugeschalteten Zuschauer freigab, kam deutlich mehr Fahrt in die Veranstaltung.

So fragte ein Zuschauer etwa danach, wie groß die Gefahr sei, dass es nach einer Impfung beim Kontakt mit dem Erreger zu schweren immunpathologischen Nebenwirkungen kommen könnte, wie das beim ersten Corona-Ausbruch mit Sars-CoV-1 in einem Tiermodell nachgewiesen worden sei.

Auch die aus EU-Sicht wichtigste Frage wurde gestellt

„Das ist auf jeden Fall eine sehr wichtige Frage, und wir haben das absolut im Blick“, sagte Marco Cavaleri, Chef der Abteilung für biologische Gefahren und Impfstrategien bei der EMA.

Bisher gebe es aber keinerlei Hinweis darauf, dass dieser Effekt bei Sars-CoV-2 auftreten könnte, zumal sich in allen Tiermodellen, anders als bei Sars-CoV-1, nichts dergleichen gezeigt habe.

Und schließlich fiel auch jene Frage, die sich in dieser Woche für so manchen Beobachter ganz besonders drängend stellt: Warum die EMA für ihre Zulassung länger braucht als ihr Aufsichtskollegen-Gremium in den USA, Großbritannien oder Kanada.

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Großbritannien prescht vor

„Wir mögen nicht so schnell sein“, antwortete EMA-Vize Wathion daraufhin. „Das liegt aber daran, dass wir ein anderes rechtliches Instrument gewählt haben.“

Während es in den genannten Ländern um eine Notfallerlaubnis für ein unlizenziertes Produkt gehe, erteile die EMA eine Marktzulassung für ein autorisiertes Produkt, und zwar für alle Chargen des Impfstoffs und nicht nur für einzelne Chargen, wie das in Großbritannien, Kanada und wohl bald auch in den USA der Fall sei.

„Wir müssen uns ganz sicher sein bei unserer Entscheidung und die Vorteile einer Impfung gegenüber ihren möglichen Nachteilen abwägen. Deshalb schauen wir uns die Daten sehr genau an“, betonte Wathion. „Unsere Entscheidung wird effizient sein, und sie wird robust sein.“

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Quelle: Getty Images/Westend61

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